Der goldene Umweg - zu Besuch bei ungereistem Essen

Text und Fotos: Stephan Käufer
In kühnem Schwung

In kühnem Schwung

In kühnem Schwung spannt sich die Stahlbrücke am nördlichen Ende des Trondheimfjordes über den Sund, der die Halbinsel Inderoy vom Festland trennt. Während die rot und weiß gestrichenen Häuser des kleinen Dorfes bereits in der Morgensonne baden, beäugen sich die unterhalb, direkt am Fjord stehenden Bootsschuppen noch etwas schlaftrunken im Spiegel des ruhig und dunkel vor ihnen liegenden Wassers.
Durch die Ähren des goldgelb, fast überreif in der Sonne wogenden Getreides geht ein zarter Wind. Sanft biegen sich die Halme der Frucht im Griff der Brise, während der nahe Tannenwald harzigen Geruch verströmt. Unterbrochen wird die Ruhe des frühen Morgens nur vom Bellen jenes Außenborders der jetzt, wo sich das Boot langsam ausgleitend dem Steg nähert, erstirbt. Eine grandiose Stille übernimmt wieder die Regie, während Inderoy erwacht.

Bootsschuppen am Fjord

Bootsschuppen am Fjord

Zwischen dem Dovrefjell im Süden und den Lofoten im Norden liegt die Region Trondelag in Mittelnorwegen. Urbanes Zentrum ist Trondheim als drittgrößte Stadt des Königreiches. Das Trondelag gilt als der Gemüsegarten Norwegens. Der Golfstrom und das sanft ansteigende, hügelige Gelände sowie der gute Boden begünstigen die Landwirtschaft. Die Berge, von denen manche bis an die tausend Meter hoch ansteigen, die fischreichen Flüsse, sowie der Trondheimfjord als Verbindung zur Norwegischen See prägen den Charakter der Landschaft. Die Halbinsel Inderoy liegt etwa neunzig Kilometer, etwas mehr als eine Autostunde, nördlich von Trondheim. Der goldene Umweg liegt auf der Halbinsel, er ist Idee, Philosophie, wirtschaftliche Lebensgrundlage und Gemeinschaft. Ein Zusammenschluss von etwa zwanzig Manufakturen, Handwerkern, Bauern, Künstlern. Vor allem aber von Menschen, die stolz sind auf ihre Heimat, die deren Traditionen leben und versuchen in ihr im Einklang mit der Natur zu leben.

Auf dem goldenen Umweg

Auf dem goldenen Umweg

„Bei uns wird ausschließlich Milch von Höfen aus der Nachbarschaft verwendet. Aber die meisten Produkte werden aus unserer eigenen Milch hergestellt“. Lächelnd und mit ein wenig stolz in der Stimme erzählt Astrid Aasen weiter, dass etwa 35 Kühe zu Hof und Meierei Gangstad gehören. Während sich Honigbienen an den Blumen in den Rabatten laben, wird auf dem Hofplatz Speiseeis aus eigener Produktion serviert. Preisgekrönt und kräftig im Geschmack ist der in der Meierei produzierte Käse.
Die Hofstatt liegt beschaulich eingebettet in die Hügel der Halbinsel. So muss es hier auch schon vor hundert Jahren ausgesehen haben, die Zeit ist wohl irgendwann einfach stehen geblieben. Die Holzgebäude sind in traditionellen Farben gestrichen. Das kupferhaltige Rot konnte früher preisgünstig hergestellt werden. So wurden die Wirtschaftsgebäude und die Unterkünfte des Gesindes rot getüncht. Weiß war teurer und blieb dem Wohngebäude der Bauernfamilie vorbehalten.

In einem ähnlichen Anwesen ein paar Kilometer entfernt liegt Inderoya Gardsbryggery eine kleine Hofbrauerei. Steinar Kvam Braumeister und Inhaber erzählt: „Die Nachfrage ist größer als meine Produktionskapazität, doch ich setzte auf Qualität und nicht auf Masse“. In Dänemark hat er das Brauerhandwerk erlernt. Nachdem sein älterer Bruder den Hof übernommen hatte, eröffnete er vor vier Jahren die Brauerei. Großzügig trat sein Bruder ihm ein paar Räumlichkeiten ab, ein kleines Brauzimmer, das Flaschenlager ist auch gleichzeitig Etikettierraum, ein kleiner Vorraum an dem ein paar einfache Regalbretter an der Wand hängen. Es reicht ihm, Steinar ist bescheiden, er freut sich über das Erreichte und über die Beliebtheit seines Bieres. Ein paar Preise hat er damit schon gewonnen, trotzdem ist er mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Der Alkoholgehalt seines Bieres liegt unter der staatlich vorgeschriebenen Grenze von 4,7 %. Damit unterliegt es nicht dem strengen Reglement und kann frei, auch im Supermarkt verkauft werden. Fünf englische und fünf deutsche Rezepturen stehen Pate für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Zuletzt hat er begonnen Hopfen anzubauen, aber mit mäßigem Erfolg. Hopfen und Hefe importiert er. Doch wichtigster Bestandteil des Bieres ist Wasser: „Das stammt von hier, in allerbester Qualität“, erklärt er. Von der Rückseite des Hofes geht der Blick über den Fjord, den weiten Himmel, um irgendwo in der Unendlichkeit, an den tiefgrünen Wäldern hängen zu bleiben. Ja, das Wasser hier muss von einzigartiger Qualität sein.

Gulburet

Gulburet

Ebenfalls nicht weit entfernt von Steinars Brauerei liegt Gulburet. Wie Gangstad oder Gardsbryggery ist Gulburet ebenfalls ein alter Trönderhof in traditionellen Farben gehalten und mit ganz besonderem Flair. Leckeres Brot, Lebensmittel aus der Region und Kunsthandwerk gibt es im Hofladen. Eine Webstube ist in einem Nebengebäude untergebracht. Das Wohnhaus ist ein kleines Museum. Regelmäßig werden hier Vorlesungen aus einem über einhundert Jahre alten Tagebuch des Hofes gehalten. Intimer lässt sich in das Leben der Menschen, die hier lebten und leben nicht eintauchen.

Magische Landschaft

Magische Landschaft

Oft erst im Nachhinein lässt sich beurteilen, ob ein empfundener Umweg nicht vielleicht sogar der bessere, direktere Weg ist. Der Name „goldener Umweg“ ist entstanden, weil viele Reisende auf der E6, der Hauptreiseroute durch Norwegen, an Inderoy zu ihren weiter nördlich liegenden Urlaubszielen vorbeirauschen. Ein Umweg kann kurz sein oder auch ein Leben lang andauern. Inderoy lässt innehalten, entschleunigt. Grandiose Stille, weite Wälder, uralte Kulturlandschaft mit zufriedenen, lebensfrohen Menschen die eine Idee vereint. Gute Ideen reifen in magischer Landschaft, so wie das Getreide, das Gras für das Vieh und die unendlichen Wälder.


63.869452,11.298568
Straumen, 7670 Inderøy, Norwegen

Kalender von Stephan Käufer
Reisekalender

Momentaufnahmen und Impressionen. Meine Lieblingsmotive aus den Themenbereichen Reise, Motorrad und Oldtimer. Zusammengefasst und präsentiert als hochwertiger Wandkalender.

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